Soziale Teilhabe

Partizipation älterer Menschen fördern

Durch soziale Teilhabe und Partizipation am gesellschaftlichen und kulturellen Leben kann die Lebensqualität und Gesundheit älterer Menschen maßgeblich gestärkt werden. Darüber hinaus hat die Partizipation älterer Menschen eine weitere gesellschaftliche Relevanz. Ältere Menschen sind selbst fachkundig für die Problemfelder, die sie umgeben. Durch freiwilliges Engagement älterer Menschen können in der Gesellschaft wichtige Aufgaben erfüllt werden, die ansonsten kaum zu bewältigen wären.

Soziale Teilhabe ist wesentlich für das Wohlbefinden älterer Menschen.

Menschen sind auf die Interaktion mit anderem Menschen angewiesen. Die soziale Teilhabe ist wesentlich für das seelische Wohlbefinden. Ältere Menschen haben das Bedürfnis nach Anerkennung und Zuwendung, zum Beispiel durch Zuhören oder im persönlichen Gespräch über ihre Anliegen, Sorgen und Wünsche. Im Miteinander erleben sie ihre „Wirksamkeit“. Sie erleben das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das Angenommen-Sein. Sie erfahren Nähe, Achtung und Wertschätzung oder Respekt. Das Erleben von positiver Wirkung in der Gemeinschaft beflügelt die Emotionen und stärkt das Selbstbewusstsein.

Ausgrenzung und Vereinsamung haben negative Folgen für die Gesundheit.

Für viele ältere Menschen ist soziale Teilhabe, die Teilnahme am kulturellen und gesellschaftlichen Leben ohne Unterstützung nicht mehr möglich. Gerade ältere Menschen, die aufgrund körperlicher, seelischer oder kognitiver Einschränkungen nicht eigenständig an gesellschaftlichen Ereignissen teilnehmen können, sind zunehmend ausgegrenzt vom Erleben der Gemeinschaft. Die Vereinsamung kann zu depressiven Erkrankungen führen und somit negative Folgen für die Gesundheit haben.

Die Förderung sozialer Teilhabe ist ein wichtiger Aspekt der Gesundheitsprävention.

Ein wesentliches Ziel der Gesundheitsförderung ist es, älteren Menschen so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben im eigenen Wohnumfeld und eine aktive Teilhabe an der Gemeinschaft zu ermöglichen. Es gilt Wege und Angebote zu etablieren, um die soziale Teilhabe älterer Menschen zu fördern und ihrer Vereinsamung und dem Ausgeschlossensein aus der Gemeinschaft entgegenzuwirken. Insbesondere ältere Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen sind auf Unterstützung bei der sozialen Teilhabe durch familiäre, nachbarschaftliche oder andere Betreuungsangebote auf kommunaler Ebene angewiesen.

Familienangehörige können diese Unterstützung jedoch häufig nicht leisten. Denn die Familienstrukturen, in denen ältere Menschen heute leben, haben sich verändert. Oft fehlt die räumliche Nähe zur Familie oder Angehörige können aufgrund beruflicher Bindungen und entfernter Wohnorte nicht für die gesellschaftliche Teilhabe älterer Familienmitglieder sorgen. Umso wichtiger ist es, auf kommunaler Ebene einfach zugängliche Partizipationsangebote ggf. mit Begleit- oder Fahrservice für ältere Menschen vorzuhalten.

Definition sozialer Teilhabe

Unter dem Begriff der Teilhabe oder Partizipation ist die aktive Beteiligung von Menschen am politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Leben zu verstehen. Partizipation ist die Basis der Demokratie und Grundlage zur Entfaltung und Nutzung individueller Potenziale und Ressourcen. Partizipation im Sinne von Inklusion bedeutet die Chance auf Mitbestimmung und Mitgestaltung für alle Menschen ohne Ausnahme. Gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention ist die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen ein Menschenrecht und kein Akt der Fürsorge.

Stufen der Partizipation

Um partizipative Prozesse im Bereich der Gesundheitsförderung näher zu beschreiben, hat die Forschungsgruppe Public Health am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung und Gesundheit ein Neun-Stufen-Modell der Partizipation entwickelt.

Das Neun-Stufen-Modell der Partizipation

(Quelle: Wright u.a., 2007)

Das Neun-Stufen-Modell der Partizipation geht von dem Grundprinzip aus, dass Partizipation Entscheidungsmacht bedeutet. Je größer die Entscheidungsmacht einer Person oder einer Gruppe ist, umso größer ist der Grad an Partizipation. Nach dem Verständnis der Forschungsgruppe Public Health ist Partizipation kein Entweder-oder, sondern ein Entwicklungsprozess. Demzufolge müssen zunächst Vorstufen der Partizipation realisiert werden, bevor eine direkte Beteiligung an Entscheidungsprozessen möglich ist.

Das Neun-Stufen-Modell dient zu einer differenzierten Darstellung, inwieweit die Zielgruppe, die von der Gesundheitsförderung erreicht werden soll, bei der Planung und Durchführung entsprechender Maßnahmen beteiligt ist und in welchem Maße sie in Entscheidungsprozesse eingebunden wird.

Das Modell beschreibt die Entwicklung zu mehr Entscheidungskompetenz anhand von vier Ebenen der Partizipation (rechts im Schaubild). Jede Ebene ist gekennzeichnet durch unterschiedliche Stufen der Partizipation (links im Schaubild). Auf der Ebene der Nicht-Partizipation werden Entscheidungen außerhalb der Zielgruppe getroffen. Auf den Vorstufen der Partizipation wird die Zielgruppe informiert, angehört oder formal eingebunden, hat jedoch keinen direkten Einfluss auf den Entscheidungsprozess. Bei der „echten“ Partizipation hat die Zielgruppe ein Mitspracherecht, ihr wird mehr und mehr Entscheidungskompetenz übertragen und schließlich trifft die Zielgruppe Entscheidungen eigenverantwortlich. Die letzte Stufe des Modells geht über die Partizipation hinaus: die Entscheidungsverantwortung liegt komplett in den Händen der Zielgruppe.

Strukturen des Partizipationsprozesses

Partizipation erfordert einerseits die zur Teilhabe bereiten Personen (Bürgerinnen und Bürger) und andererseits die Teilhabe ermöglichende Gesellschaft (Vereine, Organisationen und Institutionen). Das folgende Schaubild verdeutlicht den Ablauf von Partizipationsprozessen:

Partizipation im Spannungsfeld zwischen Möglichkeitsstrukturen und individuellen Voraussetzungen

(Quelle: Köster, 2010)

Die individuellen Voraussetzungen, um an partizipativen Prozessen teilnehmen zu können, sind in dem Schaubild auf der rechten Seite dargestellt. Links im Schaubild sind die notwendigen Rahmenbedingungen zur Partizipation auf kommunaler Ebene skizziert. Am Anfang eines Partizipationsprozesses steht eine Konflikt- oder Entscheidungssituation. Bei der Konfliktlösung bzw. Entscheidungsfindung lassen sich vier Stufen der Partizipation unterscheiden: Auf der ersten Stufe informieren sich die Teilnehmenden über die Situation. Auf der zweiten Stufe wirken sie aktiv an der Konfliktlösung/Entscheidungsfindung mit. Auf der dritten Stufe sind sie als Mitentscheider eingebunden. Auf der vierten und höchsten Stufe organisieren sie sich selbständig. Dieser Prozess wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Zu den „objektiv-strukturellen Grundlagen“ zählen unter anderem die bestehende Partizipationskultur und das Kommunikationssystem. Zu den „subjektiven Grundlagen“ gehören zum Beispiel das persönliche Interesse der Beteiligten oder die persönliche Betroffenheit. Die Strukturen des Partizipationsprozesses unterliegen einer stetigen Entwicklung. Im Prozess der Partizipation erweitern die Teilnehmenden ihr Wissen und erwerben neue Kompetenzen. Sie entwickeln Sensibilität für eigene und fremde Belange und übernehmen Mitverantwortung für die Gesellschaft, in der sie leben.

Möglichkeiten der Teilhabe

Laut der Ottawa-Charta ist Partizipation ein wesentliches Anliegen der Gesundheitsförderung, um allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen. Die beiden oben dargestellten Modelle der Partizipation geben Verantwortlichen sowie Akteurinnen und Akteure der Gesundheitsförderung konkrete Anhaltspunkte, um den Grad der auf kommunaler Ebene erreichten Partizipation einzuschätzen und Möglichkeiten zur Teilhabe weiterzuentwickeln.

Die Entwicklung geeigneter Partizipationsangebote für ältere Menschen muss von der Fragestellung ausgehen: Welche gesellschaftlichen Bedingungen sind förderlich, damit ältere Menschen sich mit ihren Kompetenzen und Fähigkeiten am öffentlichen Leben beteiligen können?

Es gibt eine Vielzahl von Optionen der freiwilligen Mitwirkung älterer Menschen, zum Beispiel:

  • Engagement in Vereinen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen etc.
  • informelles Engagement in Selbsthilfegruppen, Nachbarschaftshilfen oder sonstigen sozialen Netzwerken und Projekten
  • politisches Engagement in kommunalen Seniorenvertretungen (z.B. Seniorenräte oder Seniorenbeiräte).

Potenziale der sozialen Teilhabe älterer Menschen

Die Teilhabe oder Partizipation älterer Menschen birgt große Potenziale für die Gesellschaft. Ältere Menschen besitzen Lebenserfahrungen und Fähigkeiten, die für die Gestaltung der Gesellschaft von großem Wert sind.

Die Einbindung älterer Menschen auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Gesellschaft kann dazu beitragen, die Vielfalt an Aufgaben und Funktionen im Quartier, im Dorf oder in der Kommune sinnvoll zu gestalten und die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern.

Viele ältere Menschen möchten gerne Aufgaben im kulturellen oder sozialen Bereich übernehmen. Ihnen sollten Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten eingeräumt werden, damit sie sich gern ehrenamtlich engagieren.

Die ehrenamtliche Mitwirkung in der Gesellschaft hat für ältere Menschen viele positive Auswirkungen:

Ein Ehrenamt gewährleistet kontinuierliche gesellschaftliche Teilhabe und aktive Mitarbeit.

  • Die Motivation, sich zu engagieren, wächst durch ein Ehrenamt deutlich.
  • Eine aktive Eigenbeteiligung älterer Menschen wird gefördert.
  • Die Interessen der älteren Menschen finden besondere Berücksichtigung, denn sie selbst sind die Experten für Problemfelder, die sie umgeben.
  • Ältere Menschen rücken in die Mitte der Gesellschaft und einer Altersdiskriminierung wird vorgebeugt.
  • Ältere Menschen können aktiv am Gemeinschaftsleben teilnehmen.

Positive Auswirkungen von ehrenamtlichem Engagement

Ehrenamtliches Engagement wirkt sich positiv auf das Wohlbefinden älterer Menschen aus:

  • Ehrenamtliches Engagement stärkt das Selbstwertgefühl älterer Menschen, indem sie erfahren: Mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen können sie die Gesellschaft mitgestalten.
  • Durch ehrenamtliches Engagement wird eine aktive und selbstbestimmte Lebensgestaltung gefördert.
  • Ehrenamtliche Tätigkeit verleiht dem Leben Sinn und vermittelt das Gefühl, gebraucht zu werden.
  • Durch ein Ehrenamt übernehmen ältere Menschen Verantwortung und geben ihr Erfahrungswissen weiter.
  • Die Freude an der ehrenamtlichen Tätigkeit führt zu einer positiven Lebenseinstellung.
  • Durch das Zusammenwirken mit anderen Menschen werden der Bekannten- und Freundeskreis und damit das soziale Netzwerk erweitert.
  • Ehrenamtliche Tätigkeit ermöglicht es älteren Menschen, neue Erfahrungen zu machen, sich weiterzubilden, aktiv zu sein und dadurch ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit zu stärken.

Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen (Hrsg.): Die UN-Behindertenrechtskonvention. Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Convention of the United Nations on the rights of persons with disabilities). Amtliche, gemeinsame Übersetzung von Deutschland, Österreich, Schweiz und Lichtenstein. Berlin, 2017.
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Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesseniorenvertretungen (BAG LSV): Seniorenvertretungen – Politische Partizipation älterer Menschen in Bund, Land und Kommune. Berlin: BAG LSV, 2. Aufl., 2009.
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Deutsches Zentrum für Altersfragen (Hrsg.): Partizipation älterer Menschen. Informationsdienst Altersfragen, Heft 3, 2013.
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Forschungsgesellschaft für Gerontologie / Institut für Gerontologie an der Technischen Universität Dortmund: Arbeitspapier: Partizipation im Alter. Von Britta Bertermann (Bearbeitung) und Elke Olbermann (Projektleitung). Dortmund, 2011.
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Dietmar Köster: Partizipation lernen als eine europäische Aufgabe. Positionspapier zum Partizipationsbegriff im europäischen Projekt „SeniorInnen lernen in Netzwerken“ (SEELERNETZ). Witten: Forschungsinstitut Geragogik, 2010.
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United Nations Economic Commission for Europe (UNECE): Integration und Teilhabe älterer Menschen in der Gesellschaft. Policy Brief zum Thema Altern, Nr. 4, Dezember 2010.
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Michael Wright, Martina Block, Hella von Unger: Stufen der Partizipation in der Gesundheitsförderung. In: Gesundheit Berlin (Hrsg.): Dokumentation 13. bundesweiter Kongress Armut und Gesundheit, Berlin 2007.
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BAGSO Themenheft Gemeinsam statt einsam – Initiativen und Projekte gegen soziale Isolation im Alter.
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