Regionale Fachtagung am 27.September in Bonn
Dokumentation
Gesunde Lebenswelten schaffen für alle Zielgruppen älterer Menschen
Regionale Fachtagung in Bonn am 27. September 2022
Die BAGSO – Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V. hat im Rahmen ihres Projektes „Im Alter IN FORM“ Verantwortliche und Akteure in der Seniorenarbeit zu einer Fachtagung zum Thema „Gesunde Lebenswelten schaffen für alle Zielgruppen älterer Menschen“ eingeladen. Das BAGSO-Projekt unterstützt die Zielsetzungen von „IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ und wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert.
Die Fachtagung fand am 27. September 2022 im Haus der evangelischen Kirche in Bonn statt.
Dr. Regina Görner, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V. begrüßt die 110 Teilnehmenden der Tagung. Sie erinnert an das klösterliche Leben älterer Menschen im Mittelalter, die bei Nahen des Todes die Nahrung verweigerten und ihnen nur noch Wasser aber kein Essen mehr gereicht wurde. Die Zeit wurde als Übergang in das Überirdische angesehen und man lebte wie die Natur es vorsah!
Heute „mauern“ sich ältere Menschen ein und es wird ihnen Essen auf Rädern gereicht. Das befördert Einsamkeit und eine natürlichere Lebensweise muss wieder in den Vordergrund rücken. Sie ermutigt die Anwesenden kommunalen Vertreter dafür vor Ort alles ihnen Mögliche zu tun.
Marion Profittlich, Mitarbeiterin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) beschreibt die Ziele von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, von dem sie herzliche Grüße ausrichtet:
- Eine ausgewogene Ernährung muss für alle Zielgruppen möglich sein.
- Ernährung und Nachhaltigkeit müssen zusammen gedacht w erden.
- Die Initiative IN FORM soll dazu beitragen Fehlernährung und Bewegungsmangel zu vermeiden. Das Projekt Im Alter IN FORM trägt dazu bei, dass ältere Menschen in Würde und selbstbestimmt älter werden können, denn inzwischen ist jeder dritte Bundesbürger älter als 60 Jahre und die über 80-jährigen machen 2 % der Bevölkerung aus.
Im Alter wird der Lebensraum immer kleiner und bündelt sich verstärkt an einem Ort. Das ist die Kommune und deshalb ist es gut, dass das Projekt hier ansetzt.
Gutes Essen ist besonders wichtig, die Lebensqualität älterer Menschen aufrecht zu erhalten. Dafür arbeiten u.a. auch die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) und die Vernetzungsstellen für Seniorenernährung und vergleichbare Institutionen in verschiedenen Bundesländern. Die Beteiligung der älteren Menschen an der Essensplanung ist ganz wichtig, dabei können sie sich beteiligen. Mahlzeiten geben Struktur, Genuss und soziale Teilhabe.
Frau Profittlich weist auf den Tag der älteren Generation am 01. Oktober 2022 hin, der gleichzeitig zum Tag der Seniorenernährung auserkoren wurde und um den herum die Vernetzungsstellen für Seniorenernährung eine Vielzahl verschiedener Aktionen anbieten. Essen bedeutet immer auch soziale Teilhabe und in der Arbeit in den Kommunen vor Ort konnten viele Erfahrungen dazu gesammelt werden. Sie wünscht den Teilnehmenden viele kleine Denkanstöße aus der Veranstaltung mitzunehmen.
Prof. Dr. Dr. Andreas Kruse, ist Psychologe, Gerontologe und Demograph sowie verantwortlicher Autor der letzten Altenberichte der Bundes regierung. Damit ist er ein ausgesprochener Kenner auf allen Gebieten der Alterslehre. Sein Thema lautete
„Gesundheitsförderung für und mit älteren Menschen im kommunalen Setting“
Zu Beginn seines Vortrages rezitierte Prof. Kruse aus dem Gedicht „Freundschaft“ von Simon Dach
Der Mensch hat nichts so eigen,
So wohl steht nichts ihm an,
Als daß er Treu erzeigen
Und Freundschaft halten kann,
Wann er mit seinesgleichen
Soll treten in ein Band:
Verspricht, sich nicht zu weichen
Mit Herzen, Mund und Hand.
Simon Dach (1605 - 1659), deutscher Dichter der Barockzeit.
Er schlägt die Brücke zum gemeinsamen Essen: Dabei kommt man sich näher, redet miteinander und gewinnt Vertrauen zueinander.
Wenn man über das Essen spricht, geht es auch immer um Psychologie, Teilhabe und existenzielle Verfasstheit. Die Gesamtsituation eines Menschen wird in Betracht genommen. Hat ein älterer Mensch beispielsweise eine Sarkopenie ausgebildet, das Muskelgewebe nimmt ab und die Appetitlosigkeit zu, so beschreibt die Frailty*-Forschung eine mögliche Verbesserung durch gezielte physiologische, psychologische und soziale Interventionen.
Bezogen auf den Gesundheitsaspekt im Alter bedeutet dies: Wenn sich der Lebensalltag eines älteren Menschen dahingehend ändert, dass er emotional wahrgenommen wird, kann dies auch die Ernährungslage verändern. Daher ist es wichtig die Soziale Teilhabe mit der Ernährung zu koppeln. Und das ist das Zentrum des Projektes Im Alter In FORM – Wohlbefinden älterer Menschen mit besonderen Bedarfen fördern. Ein verloren gegangener Geschmack kann wieder hergestellt werden, ggf. auch durch Veränderung einer bestehenden Medikation. Die Bereiche Ernährung, Bewegung, Soziale Teilhabe ermöglichen in besonderem Maße auch kulturelle Diversität und intergenerationelles Miteinander.
(Ältere) Menschen müssen Expertinnen und Experten in eigener Sache werden und ihre Ärztinnen / ihren Arzt als Kompass für ihre Krankheit verstehen. Mobilität und Motilität (Fähigkeit zu aktiven Bewegungsvorgängen) sind wichtige Einflussfaktoren auf den Appetit. Menschen, die isoliert, nicht rhythmisiert, ohne Aufgabe und ohne Wahrnehmung verlieren ihren Appetit. Beide wirken sich aus bei Mangelernährung und Adipositas. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist es, im Alter eine sinnstiftende Aufgabe zu haben.
Diese Aspekte erfordern eine Beratung der älteren Menschen. Dazu sind spezielle Settings notwendig wie Beratungs- oder Begleitungszentren.
Weiterhin muss sich die Frage gestellt werden: Sind Menschen in Armut in der Lage sich ausreichend und ausgewogen zu ernähren? Man weiß heute, dass Menschen aus unteren sozialen Schichten eine um 10 Jahre verkürzte Lebensdauer aufweisen.
In Kommunen leben, wirken und sterben wir. Die Unterstützung der Kommunen muss Leitthema für die Bundesregierung sein. Kommunen müssen stark gemacht werden im Sozialkulturellen. Die Personen vor Ort sollten einen Sozial- bzw. Kulturplan aufstellen und eine Strategie zur Versorgung älterer Menschen entwickeln. Dafür müssen die finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, auch wenn einige Kommunen das Thema „Alter“ für sich noch nicht erkannt haben. Die Kommune hat eine „Lotsenfunktion“ und sollte aufsuchende Strukturen einrichten. Entsprechend der Empfehlungen des 7. Altenberichtes muss die Politik die Kommunen stärken, damit hier soziale und kulturelle Daseinsvorsorge geleistet werden kann.
Prof. Kruse endete mit einen Zitat von Richard von Weizäcker: „Gesellschaft bedeutet den Mut zu haben, sich ständig zu erneuern und immer einen sozialen, kooperativen und kompetenten Zustand zu erreichen. Es gilt die Überzeugung, dass jeder seine persönliche Gesundheit mitgestalten kann.“Prof. Kruse endete seinen Vortrag mit der Aussage: Menschen müssen verstehen, dass es sich lohnt um die eigene Gesundheit zu kämpfen.
* multidimensionales geriatrisches Syndrom; Frailty ist mit einem erhöhten Risiko für Stürze und einen Autonomieverlust sowie mit einer erhöhten Mortalität verbunden.
Prof. Dr. Dr. Hürrem Tezcan-Güntekin ist Soziologin, Erziehungs- und Gesundheitswissenschaftlerin. Sie ist Professorin für Public Health an der Alice Salomon Ho chschule Berlin und lehrt zudem an der Berlin School of Public Health. Ihr Forschungsgebiet erstreckt sich auf die Versorgung und kultursensible Pflege älterer Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Im Juli 2022 wurde sie in die Altenberichtskommission des Neunten Altenberichtes mit dem Titel „Alt werden in Deutschland – Potentiale und Teilhabechancen“ berufen. Den Vortrag finden Sie hier.
Ricarda Corleis ist Mitarbeiterin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung im Referat Gemeinschaftsverpflegung und Qualitätssicherung und dort die Expertin für alle Themen rund um das Thema Ernährung im Alter. Informationen dazu finden Sie hier.
Sabine Landau betreut beim Deutschen Olympischen Sportbund im Bundesprogramm „Integration durch Sport“ die Projekte GeniAl und Bewegte Zukunft. Die Präsentation finden Sie hier.
Interviewrunde
Im Bild v.r.n.l.
Jan Holze, Gründungsvorstand der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt
Sabine Landau, Projektreferentin im Projekt Genial- Gemeinsam bewegen - Gesund leben im Alter
Laura Kremeike, Zukunftskoordinatorin des Amtes Hüttener Berge in Schleswig Holstein
Gabriele Mertens-Zündorf, Moderatorin der BAGSO
diskutieren über das Thema Ehrenamt in der Seniorenarbeit, denn hier und insbesondere auch in der Gesundheitsförderung im Alter ist das bürgerschaftliche Engagement eine tragende Säule der Seniorenarbeit.
Genauere Informationen finden Sie hier.
In den Arbeitsgruppen wurde intensiv diskutiert und verschiedene Themen detaillierter erörtert.
- Strukturen für gesundheitsförderliche Angebote auf kommunaler Ebene schaffen AG1
- Zugangswege zu älteren Menschen mit besonderen Bedarfen finden AG 2
- Mit Mittags- und Nachbarschaftstischangeboten Geselligkeit und vollwertige Mahlzeiten erleben AG 3
- Fit im Alltag - Bewegungsangebote für besondere Zielgruppen gestalten AG 4
Die Zusammenfassungen finden Sie hier:
Die Fachtagungen der BAGSO sind Teil des vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderten Projektes „Im Alter IN FORM – Wohlbefinden älterer Menschen mit besonderen Bedarfen fördern “.